Auf M.I.A.s Spuren: Wie die tamilische Diaspora ihre Kultur neu erfindet

Die tamilische Diaspora erstreckt sich über alle Kontinente und ist Teil einer weltweiten Gemeinschaft von etwa 75 bis 80 Millionen Tamilsprechenden. Millionen von Tamilen mussten aufgrund des Bürgerkriegs in Sri Lanka ihre Heimat verlassen. Doch mit der Vertreibung geht oft der Kampf um die Bewahrung der eigenen Identität einher. Junge Künstler:innen in Europa gehen nun neue Wege, um ihre Kultur nicht nur zu erhalten, sondern sie auch über ihre Community hinaus bekannt zu machen. Sie vereinen traditionelle Kunstformen mit modernen Einflüssen und erschaffen dadurch etwas völlig Neues.
M.I.A.: Eine Pionierin der tamilischen Diaspora
Die britisch-tamilische Sängerin Mathangi „Maya“ Arulpragasam, bekannt als M.I.A., machte in den 2000er Jahren weltweit auf das Schicksal der Tamilen aufmerksam. Mit Songs wie „Paper Planes“ und „Bucky Done Gun“ gelang ihr nicht nur der internationale Durchbruch, sondern sie nutzte ihre Musik auch als Plattform für politische Statements. Sie thematisierte die Gewalt und Ungerechtigkeit gegenüber der tamilischen Bevölkerung in Sri Lanka und setzte sich für die Unabhängigkeitsbewegung der Tamil Tigers ein. Ihre kontroversen Texte und ihr genreübergreifender Stil machten sie zu einer der einflussreichsten Stimmen der tamilischen Diaspora.
Pritt: R&B trifft auf karnatische Musik
Eine Künstlerin, die auf den Spuren M.I.A.s wandelt, ist Pritt, eine tamilisch-britische Sängerin aus London. Sie verbindet R&B mit karnatischem Gesang, einer südindischen Musiktradition, die vor etwa 200 Jahren in Tamil Nadu entstand. In ihrer Musik nutzt sie die karnatische Tonleiter mit ihren charakteristischen Noten und Übergängen, den sogenannten Gamakas, und integriert diese in moderne R&B-Klänge.
Für Pritt ist es eine Herzensangelegenheit, in Tamil zu singen – einer Sprache, die als eine der ältesten der Welt gilt und deren Verwendung in Sri Lanka auch heute noch zu Diskriminierung führen kann. Während sie Tamil in ihrer Familie von klein auf sprach, wurde es erst durch die Musik zu einem festen Bestandteil ihrer Identität. Ihre Songs sind ein Ausdruck ihres Erbes, aber auch eine Brücke zu einem globalen Publikum, das ihre Musik liebt, ohne die Sprache verstehen zu müssen.
Usha Jey: Die Tänzerin, die Bharatanatyam und Hip-Hop vereint
Auch in der Tanzszene setzen junge tamilische Künstler*innen Akzente. Die Pariser Choreografin Usha Jey verbindet zwei scheinbar gegensätzliche Tanzstile: den traditionellen indischen Bharatanatyam und modernen Hip-Hop. Ursprünglich kam Usha aus der Hip-Hop-Szene und nahm an Battles auf der ganzen Welt teil. Erst später entdeckte sie den Bharatanatyam für sich, einen der ältesten klassischen Tänze Indiens, der oft Geschichten durch Posen, Bewegungen und Gesichtsausdrücke erzählt.
Mit ihrer einzigartigen Hybrid-Form des „Hybrid Bharatanatyam“ bringt sie diese beiden Welten zusammen. Ihr Stil wurde international anerkannt, und 2021 wurde sie sogar zur Choreografin für M.I.A. ernannt. Doch ihre Kunst dient nicht nur der eigenen Karriere: In kostenlosen Kursen bringt sie jungen Tamilen in Frankreich den Bharatanatyam näher und trägt so zur Bewahrung dieser Kunstform bei.
Lawrence Valin: Repräsentation durch Film
Während Tanz und Musik starke Ausdrucksformen sind, nutzt der Schauspieler und Regisseur Lawrence Valin das Medium Film, um die Geschichte der Tamilen zu erzählen. Sein Ziel ist es, ein Bewusstsein für die Traumata des Bürgerkriegs zu schaffen, die innerhalb der Community oft verdrängt werden.
Sein Film „Little Jaffna“, der auf den Filmfestspielen von Venedig in der Woche der Kritik gezeigt wurde, spielt in den letzten Tagen des Bürgerkriegs 2008. Inspiriert von Martin Scorseses Gangsterfilmen und der tamilischen Filmindustrie „Kollywood“, erzählt Valin eine Geschichte, die sich mit Identität, Migration und der tamilischen Diaspora beschäftigt. Dabei gelingt ihm ein Spagat zwischen Unterhaltung und sozialkritischer Auseinandersetzung.
Die Kunst als Mittel zum Überleben
Für viele junge Tamilen ist Kunst nicht nur ein Ausdrucksmittel, sondern eine Frage des Überlebens. Der Bürgerkrieg mag offiziell beendet sein, doch noch immer gibt es in Sri Lanka keine echte Aufarbeitung oder Versöhnung. Die tamilische Identität wird dort systematisch marginalisiert. Doch durch Musik, Tanz und Film gelingt es der Diaspora, ihre Geschichte zu erzählen und ihre Kultur in den Mainstream zu bringen.
Die nächste Generation tamilischer Künstler*innen ist bereit, sich der Welt zu zeigen – und mit ihrer Kunst eine Stimme für ihre Wurzeln zu erheben.
